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Jochem Ahmann spielt… er geht damit zurück auf den Ursprung des Kunstwerks.

Dieses entwickelt sich aus dem zweckfreien Umgang mit den Dingen des Alltags. Nicht mehr der Zweck steht im Vordergrund, nicht mehr die Befriedigung der primären Bedürfnisse, sondern das Überflüssige, das vorgeblich Sinnlose, der pure Luxus, aber auch das Nichtentfremdete. Hieraus entwickelt sich ein Formwille, der sich selbst genügt und Ausdruck größter Freiheit ist. Wenn nun die Förmchen, mit denen Kinder im Sand spielen – Schiffe, Flugzeuge, Autos -und damit vorgefertigte und vorgedachte Skulpturen temporär dem weichen Materialabtrotzen, bei Ahmann nun zu dauerhaften Formgebilden werden, so kann man das mit Recht als ein radikales und konsequentes Weiterdenken des Spielerischen betrachten, dem auch die zu Eigen Metamorphoseist. Allerlei Material kommt so zusammen.Es ist nicht in erster Linie künstlerisches Material. Zu einem solchen wird es erst durch die freie und spielerische und zugleich offene, revidierbare Entscheidung.Interessanterweise erschöpfen sich die so weiterentwickelten „ Spielzeuge “nicht in einer neuen materiellen Konsistenz, Zement z.B.,sondern gleichsam nebenbei und unwillkürlich erzählen sie neue Geschichten, die sie der manuellen Vervielfältigung und ihrer neuen Konstellation verdanken. Dies ist auch das Grundprinzip der zweidimensionalen Bildwerke. Unterschiedlich große und geformte Bildtafeln – fast schon Objekte – mit einfachen, schnell identifizierbaren Motiven sind scheinbar willkürlich auf der Wand verstreut und erzählen doch als ganzes eine Geschichte, ohne das das Einzelbild als Aussage einbüßen würde. Es ist zugleich Detail eines Ganzen und autonomes Bildwerk, das seine Existenz gerade auch durch die Ansammlung im Vergleich behauptet. Wenn man dann noch bemerkt, dass die Konstellation des Ganzen keineswegs endgültig ist,jede Präsentation des Gesamtwerks damit einzigartig sein kann, weil bei der nächsten Installation wieder Tafeln und Dinge hinzugekommen sind, so ist nicht zuletzt auch der Betrachter gefordert, die mögliche Entwicklung zu denken und mit eigenen Vorstellungsbildern zu ergänzen. Diese Unabgeschlossenheit mag man als Unentschiedenheit verstehen. Sie ist aber zuallererst eine Offenheit des Spiels mit den Dingen und Bildern unserer Welt,die endgültige Bilder genauso wenig wie endgültige Wahrheiten noch erschaffen kann.So ist die Bildwelt von Jochem Ahmann aus dieser Welt gespeist und gibt ihr einen Kommentar zurück, bleibt aber in einer kritischen, mitunter subversiven Distanz zu ihr –in der Freiheit des Spiels, das er immer weiter nach seinen Regeln zu spielen weiß.

Prof. Dr. Ferdinand Ullrich, 2004 Kunsthalle Recklinghause

„ …nach Auffassung der Jury repräsentiert sich im Werk von Jochem Ahmann eine Haltung, die, aus einem spielerischen Ansatz heraus, hintergründige und tiefsinnige Situationen erschafft, aus großer Leichtigkeit tiefen Ernst schöpft. Er entdeckt das Spielzeug als künstlerisches Vokabular, das er mit hohem Einfallsreichtum transformiert, verfremdet und weiterentwickelt. Jochem Ahmann hat dabei Möglichkeiten erarbeitet, Kommentare zur Zeit auf einem hohen künstlerischen Niveau zu formulieren.Dabei ist sein Aktionsfeld keineswegs auf den traditionell geschützten Raum der Kunst beschränkt.Vielmehr enthält seine Kunst ein Potential, das sich in den verschiedensten insbesondere nichtkünstlerischen Zusammenhängen menschlichen Zusammenlebens entfalten kann. Darüber hinaus bietet sich gerade auch der öffentliche Raum als Betätigungsfeld dieser vordergründig naiven und doch ironisch – subversiven Botschaften an.“

Dr. Ferdinand Ullrich, Vorsitzender der Jury Kommentar zum Märkisches Stipendium für Bildende Kunst 1994

Ohne sich in der Anekdotik zu verlieren, gestaltet Jochem Ahmann die Wirklichkeit, wie sie sich anbietet, zu einer neuen, verspielten und märchenhaften Realität voller Doppelbödigkeit mit dick aufgetragenem Augenzwinkern. Das Umkrempeln der Welt, so wie wir sie zu kennen meinen, in ein absurdes Theater geschieht nicht ohne Grund: zwar sieht das Ergebnis wie eine unschuldige Possenreißerei aus, aber wer näher hinschaut, stößt rasch auf die beißende Ironie und wird merken, dass es Ahmann eher um das notwendige Lachen des Hofnarren geht, als um die unverbindliche Ironie des scheinbar toleranten Bürgers.


JA: Es sieht so aus, als sei ich beeinflusst durch Politik, durch das, was sich in der Gesellschaft abspielt. Aber ich bin mir dessen nicht bewusst, wenn ich an einem Werk arbeite. Erst, wenn ich selbst das Ergebnis sehe, verstehe ich, wie tief ich als Künstler in der Gesellschaft verhaftet bin. Vielleicht geschieht dasselbe bei meinen Aufenthalten in Antwerpen: im Augenblick habe ich nicht das Gefühl, dass ich hier direkt beeinflusst wurde, aber wahrscheinlich wirkt sich das Erlebte später doch aus. Es ist noch zu früh, um darüber etwas auszusagen.


JVdB: Es scheint so, als würdest Du Deine eigene Geschichte zusammenstellen, um damit die größere Geschichte ironisch zu kommentieren, so eine Art Variante von David und Goliath…


JA: Ich banalisiere die allzu ernsthafte große Geschichte, etwa in der Richtung, dass ich sozusagen die Standbilder für große Helden auf ihre wikliche Dimension zurückschraube.


JVdB: Befindet sich hinter Deiner Arbeit immer eine Geschichte oder glaubst Du, dass sie für sich alleine stehen kann?


JA: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube an die Kraft des Bildes. Deine und meine Geschichte können bei einem Bild sehr unterschiedlich sein, aber die Interpretierbarkeit ist noch etwas ganz anderes, als Kunst – für – die – Kunst jenseits des gesellschaftlichen Kontextes zu machen. Ich finde, man sollte als Künstler mit seiner Arbeit Zeichen setzen.


JVdB: Gerade im Zusammenhang mit „ Transfer “… Fandest Du es nicht schwierig, mit 26 völlig verschiedenen Persönlichkeiten zu arbeiten?


JA: Das war im Endeffekt nicht die größte Herausforderung. Am schwierigsten war vielmehr der neue Kontext. Plötzlich hat es dich in ein fremdes Land verschlagen und du befindest dich in Situationen, die du hier nicht kennst. Schließlich ist das aber auch gerade das große Verdienst des Projektes: du bist gezwungen, aus deinem eigenen Provinzialismus auszubrechen. Alles läuft perfekt in deiner kleinen Welt, aber du läufst dann auch Gefahr, dich festzufahren.Ich fand es spannend, andere Standpunkte als die meinen zu hören, zu sehen, wie andere Künstler mit der Wirklichkeit umgehen, zu merken, dass es doch eine deutsche und eine belgische Arbeitsweise gibt. Eigenartigerweise fühlte ich mich besonders zu der absurd-narrativen Erzählweise belgischer Kunstwerke hingezogen. Doch ist „ Transfer “ für mein `gewöhnliches ´Leben wichtiger als für mein Leben als Künstler. Ich habe neue Freunde gefunden und Orte kennen gelernt, die ich sonst nie entdeckt hätte.


JVdB: Wie lebst Du als Künstler mit der besonderen politischen Situation in dieser Zeit?


JA: Hier in Deutschland haben wir es natürlich mit der ganzen Problematik der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands zu tun. Akzente wurden verschoben, und Kunst hat etwas von ihrer Kraft verloren. Das muss natürlich nicht in direktem Zusammenhang stehen, aber es scheint doch in etwa darauf hinauszulaufen. Daneben mache ich mir ernsthaft Gedanken über das Aufkommen von Rechtsextremismus und der damit einhergehenden Intoleranz. Hinzu kommt natürlich, dass wir als Deutsche immer noch unsere Geschichte verarbeiten müssen. Wenn ich im Ausland bin, stoße ich nach wie vor auf die Schlussfolgerung: Du bist Deutscher, also bist du rechts´.


JVdB: Was natürlich genauso stumpfsinnig ist wie die Xenophobie von Rechtsextremen.


JA: Natürlich, es ist dasselbe, nur anders verpackt. Doch haben wir nun einmal unsere Geschichte und die Verantwortung dafür zu tragen. Ich finde, dass ich als Künstler darauf reagieren muß… Ich weiß nicht wie, und ich zwinge mir auch nicht die eine oder andere Richtung auf, aber ich merke, dass ich darauf reagiere. Auch das war ein Aspekt von „ Transfer “: nämlich festzustellen, dass in Belgien über Deutschland anders gedacht wird als ich vermutete, und leider auch feststellen zu müssen, dass genauso gut in Belgien ruchbare politische Ideen zu finden sind. In der Beziehung sitzen wir im selben Boot.

Jos Van den Bergh zu „Transfer“, Belgien 1992

West meets east – The Berlin art landscape – Three years after the change, Japan 1993

… the „ Künstlerhaus Bethanien “, a former childrens´ hospital, is one of the most explosive exhibition houses in Berlin since the middle of the 1970´s. It is located in one of the politically most revolutionary parts of Berlin: Kreuzberg 36 – directly on the old Berlin wall strip. Christoph Tannert and Michael Haerdter represent the house and invite international artists, who get a studio in Bethanien to work in and present their work to the public in the form of an exhibition. Jochem Ahmann provoked the public there with his installation “ toys are us “. On one side, it is an ironic, programmatic allusion to the biggest childrens´toy-store chain in the world. On the other side, Ahmann wants to shatter our illusions about the harmlessness of our favourite huggy animal toys. It is a confrontation with what we so easily conceal: the sexual abuse of children, incest and sibling sexual love.

Klara Wallner, Berlin

Götterwind

Jochem Ahmann gibt seiner Einzelausstellung diesen geheimnisvollen Titel „Götterwind“ und lockt uns damit schon mitten hinein in seine künstlerische Phantasie und Arbeit.

Die japanischen Schriftzeichen Shimpu Tokkotai, die mit „göttlicher Wind“ oder auch „Hauch Gottes“ zu übersetzen sind, benennen zwei für Japan glückliche Naturereignisse im 13. Jahrhundert: zwei plötzlich auftauchende Taifune verhinderten zweimal die Invasion Japans durch die mongolischen Truppen des Kublai Khan. Danach benannten die Japaner im Zweiten Weltkrieg auch ihre Sondertruppe, die sich selbst mit ihren Flugzeugen oder bemannten Torpedos auf gegnerische Schiffe stürzten. Von der amerikanischen Seite wurden diese Schriftzeichen fälschlich als „Kamikaze“ übertragen und damit sprichwörtlich für Selbstmordangriffe auf militärische Ziele.Der Schrecken, den diese Kamikaze-Angriffe auslösten, ist nicht allein mit der unerbittlichen Zerstörungswut zu erklären, denn die Trefferquoten waren eher gering. Hier scheint eine Urangst mitzuwirken, die im Tierreich und auch bei uns Menschen virulent ist: der Schatten von Schwingen eines Greifvogels oder eines Flugzeugs bleibt eine mögliche Bedrohung, auch bestätigt durch jüngste Attacken und Abstürze. Diese Bedeutungskette wirft ein Schlaglicht auf die Arbeitsweise von Jochem Ahmann. Ihn fasziniert die wechselvolle Beziehung von technischem Gerät, hier Flugzeug, und Fortschritt zu seiner Bedrohung und Zerstörung. Vom friedlichen Urlaubsflieger bis zum Flugzeug als todbringender Waffe gibt es Beispiele aus der Geschichte und reicht die Kombinatorik in seinen Kunstwerken. Manche Sinnebenen sind sehr deutlich ausgearbeitet mit den Materialien und den zeichnerischen Formen, andere sind nur angedeutet oder im Titel angesprochen. Ahmanns Flugzeuge sind als Umriss oder als Vollform gestaltet.

Eine dritte Reihe verbindet die Silhouette mit einem collagierten technischen Innenraum. Diese Folge ist dem „unsichtbaren“ Bomber gewidmet. Allen Gestaltungen ist gemeinsam, dass der Künstler sehr feinfühlig und virtuos die Oberflächen bearbeitet. Im Ergebnis von opaken und transparenten, sich vermischenden und gegenseitig abstoßenden Färbungen erscheinen die Flugzeugformen in der Schwebe zwischen Körper oder Schatten, positiver oder Negativform.Es gibt ein Ursprungsmodell dieses Flugzeuges, das Ahmann immer wieder umreisst und abformt, ein gelbes Spielzeugflugzeug aus Plastik, eigentlich für seinen Sohn für den Sandkasten angeschafft. Dieses ist bis heute ein zentrales Modul seiner Kunst. In thematischen Zusammenstellungen variiert er Material und Oberfläche dieser Form. Die mehrteiligen Werke verbinden serielle und individuelle Gestaltung, auf der inhaltlichen Ebene ernsthaft kritische mit spielerisch leichten Aspekte. Neben Flugzeugen faszinieren den Künstler Schiffe und Autos; Schiffe sind in einer mehrteiligen Arbeit in einem Konvoi, als U-Boot und als Segelschiff zu sehen: „Nautik in Zeiten der Abstürze, Verson 2009“. So liegt es nahe, dass Jochem Ahmann selbst Bezug nimmt auf das erste Manifest der Futuristen vor genau 100 Jahren, in dem Filippo Tommaso Marinetti die moderne Technik feiert: „…die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen…ist schöner als die Nike von Samothrake.“ Allerdings blieb diese kulturkämpferische Begeisterung nicht unschuldig: Verherrlichung des Krieges und des Faschismus` entlarvten den vorgeblichen Modernismus. Ahmann tappt nicht in diese Falle, sondern packt die Begeisterung für Technik am Ursprung, in dem er die „Großen Ereignisse“ der Weltnachrichten in eine, in seine kleine Modellbauwelt herunterfährt. Er nimmt den Themen ihr anfälliges Pathos und formt sie befreit von der vorlastigen Schwere neu. In seiner Kunstwelt können Tragödien schaurig schön sein, sie rühren uns gerade an, weil sie nicht abgeschottet moralisch fordern, sondern künstlerisch anmutig und tiefsinnig gestaltet sind.

Bei Walter Benjamin findet sich anlässlich eines Bildes von Paul Klee, „Angelus Novus“ von 1920 eine andere Deutung: „Aber ein Sturm weht vom Paradies her…“ und weiter: „Dieser Sturm (der Geschichte) treibt ihn (den Engel) unaufhaltsam in die Zukunft.“ (vom Autor ergänzt). Dieser Engel ist ein Getriebener, der rückwärts gewandt die Zukunft nicht sieht, aber zurückblickend die Katastrophen und Trümmerhaufen der Vergangenheit sehen muss. Das mag nun weit ausgeholt sein, erscheint aber notwendig, um die künstlerische Position im Verhältnis zum Stoff kenntlich zu machen. Bei Ahmann ist keine Zukunftsgewissheit oder gar Schönfärberei in einem vordergründigen Sinn zu finden. Er greift Themen auf, findet Materialien und Formen und überformt sie in einer künstlerischen Anverwandlung. Er befreit Dinge von ihrer festgelegten Bedeutung, in dem er sie in neue ungewohnte Zusammenhänge stellt. Hier taucht die Frage nach einer erweiterten Ikonologie auf, wie sie mit der Materialästhetik der Arte Povera gestellt ist. Peter Härtling hat in seinem Beitrag zu den Frankfurter Poetik-Vorlesungen über „Die Spanne zwischen Finden und Erfinden“ geschrieben anlässlich der Frage, ob das berühmte Foto von Robert Capa aus dem spanischen Bürgerkrieg „Tod eines republikanischen Soldaten“ nun echt oder eine Fälschung sei. Er kommt unter anderem zu dem Schluss, dass es im kreativen Prozess eine häufige wechselseitige Anregung gibt, im Ergebnis nie ausschließlich das eine oder das andere. Um bei der Flugzeugform zu bleiben: für Jochem Ahmann ist und bleibt das Förmchen dieses ganz private aus dem Lebenszusammenhang genommene Erinnerungsstück. Als Hohlform im doppelten Sinn kann es nun formal und inhaltlich aufgeladen werden. Dabei ist es nicht multifunktional, wie man zunächst daraus schließen könnte, mit der Androhung von Gleichmacherei, sondern aus der Fülle jeweils verdichtet in einem Werk zu einer konzentrierten Bedeutung. Da sind wir dann (wieder) in der Kindheit: „Backe, backe Kuchen…“ beginnt ein bekanntes Kinderlied. Die Formen wurden mit Sand gefüllt und gestürzt. Der Inhalt war in dem Moment Kuchen oder eben ein Fisch im Wasser oder auch ein Flugzeug, kein Sand, nichts anderes. Im nächsten Moment waren das Spiel und die Einbildungskraft beendet. So war sicher jede und jeder von uns schon einmal Schöpfer und kann diesen kreativen Akt bestätigen.

Ferdinand Ullrich titelte 2004 zu einer Ausstellung: „Jochem Ahmann spielt“ eben mit den Formen aber auch mit Inhalten, darin unterscheidet sich seine künstlerische Strategie natürlich von der kindlichen. In dem der Künstler unmittelbar naiv und artifiziell symbolisch wechseln oder auch brechen und karikieren kann, entwickelt er eine Bildsprache, die hintergründig und mehrdeutig sein kann. Johan Huizinga veröffentlichte 1938 sein kulturhistorisches Werk unter dem Titel „Homo ludens“, der spielende Mensch. Erst mit der freien Kapazität des Menschen, die nicht mehr vollständig für Jagd, Behausung, Schutz gebraucht wurde, war der Mensch im nicht notwendigen, überflüssigen Spiel zu kultureller Entwicklung in der Lage, so die Grundannahme. Allerdings ist damit keine Wendung zum Guten gemeint: 1939 erschien das Werk in deutscher Sprache; im selben Jahr begann bekanntlich der Zweite Weltkrieg. Mit aller Bedachtsamkeit: Freisetzen von Gestaltungskraft, Spiel kann auch bedeuten: modernere Zerstörung. Claude Lévi-Strauss unterscheidet grundsätzlich Bastler und Ingenieure; die Ingenieure wollen Neues erfinden und konstruieren, die Bastler nehmen das Vorhandene und gestalten es um und neu. Nach dieser kategorialen Teilung gehört Jochem Ahmann in das Lager der Bastler. Er greift auf Vorhandenes zurück. Er sammelt Fundstücke und Themen. Das können sein: ausgemusterte Postkartenständer, Rahmenmuster, Folien, Kuscheltiere, Serienbildchen, Tierspielzeug, Letra Sets.

Bei Ahmann gibt es auch bei der Frage, ob es sich nun um ein objet trouvé der Surrealisten handelt oder um ein ready made eines Marcel Duchamps, keine immer gültige Antwort. Er nutzt beide Strategien, die im Finden ein Gemeinsames haben. Das Künstlerische betrifft neben den aufgeführten konzeptuellen Vorgängen auch ganz traditionelle Bereiche: Material, Oberfläche und Form. Jochem Ahmann folgt dem „Prinzip Collage“ in der Tradition der Moderne. Er setzt Alt gegen Neu, Echtheit gegen Täuschung mit Spaß am Wechselspiel. Seine reichhaltige Behandlung der Oberflächen mit unterschiedlichen Veredelungstechniken und mit ärmlichen, technisch ungeeigneten Beizen und Lacken zeugen von einer erfahrenen Handschrift, die das Experimentieren sucht. Die Kombination von alltäglichen Dingen mit künstlerischen Elementen, die spielerischen Grenzüberschreitungen zwischen high and low culture, Ahmanns Witz lassen ihn in der Nachfolge von Dada und von Fluxus erscheinen. Auch hier kann die Zuordnung nicht festschreibend getroffen werden, weil sich der Künstler virtuos einer Tradition bedient, sich aber nicht unterordnet. So kann diese Ausstellung „Götterwind“ nur einmalig im April, Mai 2009 an genau diesem Ort der Akademiegalerie KU 28 in Essen realisiert werden. Im oberen Stockwerk ist eine Galerie innerhalb der Ausstellung aufgebaut: gewidmet dem „unbekannten fernöstlichen Meister / i.A. Ahmann“. Es ist eine weitere Steigerung des Verwirrspieles: gemalte Landschaftsbilder als ready mades, Idyllen als Fließbandproduktion. Hier treffen aktuelle Vermarktungsstrategien, shop in shop, mit kulturkapitalistischen Mechanismen, made in china, gelabelt als romantische europäische Landschaft, zusammen. Der Künstler Jochem Ahmann ist der Manager. Er lotet die Möglichkeiten aus, aber er will die künstlerische, gestalterische, handwerkliche Schöpfung nicht verlassen. Zu lieb und eigen sind ihm die ganz unmittelbaren Ausdrucksformen, die grundlegend sind und wahrlich an der Oberfläche liegen mit der Aufforderung „hinsehen und nachdenken“.

Michael Kade