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Interview:
Jos Van den Bergh zu „ Transfer “, Belgien 1992
Ohne sich in der Anekdotik zu verlieren, gestaltet Jochem Ahmann die Wirklichkeit, wie sie sich anbietet, zu einer neuen, verspielten und märchenhaften Realität voller Doppelbödigkeit mit dick
aufgetragenem Augenzwinkern. Das Umkrempeln der Welt, so wie wir sie zu kennen meinen, in ein absurdes Theater geschieht nicht ohne Grund: zwar sieht das Ergebnis wie eine unschuldige Possenreißerei
aus, aber wer näher hinschaut, stößt rasch auf die beißende Ironie und wird merken, dass es Ahmann eher um das notwendige Lachen des Hofnarren geht, als um die unverbindliche Ironie des scheinbar
toleranten Bürgers.
JA: Es sieht so aus, als sei ich beeinflusst durch Politik, durch das, was sich in der Gesellschaft abspielt. Aber ich bin mir dessen nicht bewusst, wenn ich an einem Werk arbeite.
Erst, wenn ich selbst das Ergebnis sehe, verstehe ich, wie tief ich als Künstler in der Gesellschaft verhaftet bin. Vielleicht geschieht dasselbe bei meinen Aufenthalten in Antwerpen: im Augenblick
habe ich nicht das Gefühl, dass ich hier direkt beeinflusst wurde, aber wahrscheinlich wirkt sich das Erlebte später doch aus. Es ist noch zu früh, um darüber etwas auszusagen.
JVdB: Es scheint so, als würdest Du Deine eigene Geschichte zusammenstellen, um damit die größere Geschichte ironisch zu kommentieren, so eine Art Variante von David und Goliath…
JA: Ich banalisiere die allzu ernsthafte große Geschichte, etwa in der Richtung, dass ich sozusagen die Standbilder für große Helden auf ihre wikliche Dimension zurückschraube.
JVdB: Befindet sich hinter Deiner Arbeit immer eine Geschichte oder glaubst Du, dass sie für sich alleine stehen kann?
JA: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube an die Kraft des Bildes. Deine und meine Geschichte können bei einem Bild sehr unterschiedlich sein, aber die Interpretierbarkeit ist
noch etwas ganz anderes, als Kunst – für – die - Kunst jenseits des gesellschaftlichen Kontextes zu machen. Ich finde, man sollte als Künstler mit seiner Arbeit Zeichen setzen.
JVdB: Gerade im Zusammenhang mit „ Transfer “… Fandest Du es nicht schwierig, mit 26 völlig verschiedenen Persönlichkeiten zu arbeiten?
JA: Das war im Endeffekt nicht die größte Herausforderung. Am schwierigsten war vielmehr der neue Kontext. Plötzlich hat es dich in ein fremdes Land verschlagen und du befindest dich
in Situationen, die du hier nicht kennst. Schließlich ist das aber auch gerade das große Verdienst des Projektes: du bist gezwungen, aus deinem eigenen Provinzialismus auszubrechen. Alles läuft
perfekt in deiner kleinen Welt, aber du läufst dann auch Gefahr, dich festzufahren.Ich fand es spannend, andere Standpunkte als die meinen zu hören, zu sehen, wie andere Künstler mit der Wirklichkeit
umgehen, zu merken, dass es doch eine deutsche und eine belgische Arbeitsweise gibt. Eigenartigerweise fühlte ich mich besonders zu der absurd-narrativen Erzählweise belgischer Kunstwerke hingezogen.
Doch ist „ Transfer “ für mein `gewöhnliches ´Leben wichtiger als für mein Leben als Künstler. Ich habe neue Freunde gefunden und Orte kennen gelernt, die ich sonst nie entdeckt hätte.
JVdB: Wie lebst Du als Künstler mit der besonderen politischen Situation in dieser Zeit?
JA: Hier in Deutschland haben wir es natürlich mit der ganzen Problematik der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands zu tun. Akzente wurden verschoben, und Kunst hat etwas von
ihrer Kraft verloren. Das muss natürlich nicht in direktem Zusammenhang stehen, aber es scheint doch in etwa darauf hinauszulaufen. Daneben mache ich mir ernsthaft Gedanken über das Aufkommen von
Rechtsextremismus und der damit einhergehenden Intoleranz. Hinzu kommt natürlich, dass wir als Deutsche immer noch unsere Geschichte verarbeiten müssen. Wenn ich im Ausland bin, stoße ich nach wie
vor auf die Schlussfolgerung: Du bist Deutscher, also bist du rechts´.
JVdB: Was natürlich genauso stumpfsinnig ist wie die Xenophobie von Rechtsextremen.
JA: Natürlich, es ist dasselbe, nur anders verpackt. Doch haben wir nun einmal unsere Geschichte und die Verantwortung dafür zu tragen. Ich finde, dass ich als Künstler darauf
reagieren muß… Ich weiß nicht wie, und ich zwinge mir auch nicht die eine oder andere Richtung auf, aber ich merke, dass ich darauf reagiere. Auch das war ein Aspekt von „ Transfer “: nämlich
festzustellen, dass in Belgien über Deutschland anders gedacht wird als ich vermutete, und leider auch feststellen zu müssen, dass genauso gut in Belgien ruchbare politische Ideen zu finden sind. In
der Beziehung sitzen wir im selben Boot.